In diesem Artikel vom 22. Mai 2015 benutze ich zum ersten Mal das Kofferwort huMANNoid.
Später entstand – auch infolge der hier aufgeschriebenen Gedanken, das Projekt und schließlich das Buch
huMANNoid | Männer sind Menschen
Ist männliche Lust bereits vermessen?
Diese Frage ist natürlich etwas provokativ und doppeldeutig. Und das hat einen Grund:
Als der Spiegel gerade mal wieder einen Artikel über neueste Forschungsergebnisse zur Vermessung weiblicher Lust veröffentlichte, ließ die sicher nicht ganz unberechtigte Kritik im Netz nicht lange auf sich warten. Dass viele Stimmen nun mit Nachdruck darauf hinweisen, dass weibliche Sexualität sich nicht vermessen lasse, finde ich dabei durchaus begrüßenswert. Wenn im gleichem Atemzug allerdings so getan wird, als sei männliche Lust bereits vermessen, dann finde ich das schon ein wenig vermessen. Wenn das Feigenblatt unkt, weibliche Lust vermessen zu wollen sei ähnlich kindisch wie das vermessen von Penislängen, wenn Frau Clara Ott von der Welt.de „Sexualforscher“ völlig selbstverständlich mit „Herren“ gleichsetzt, denen man den gut gemeinten Rat geben müsse, endlich ihre Suche nach „Orgasmustricks“ für die Frau aufzugeben, dann fühle ich mich an die E-Mail einer Frau erinnert, die – auf meine Texte in einem Internetforum aufmerksam geworden – mich fragte, wie sie wohl ihren Neandertaler-Mann dazu bringen könne, Bücher zu lesen. Lese ich nun den Shitstorm, den der o.g. Spiegel Artikel auslöste, habe ich zuweilen den Eindruck, dass wir heutzutage über männliche Sexualität tatsächlich ein ähnlich holzschnittartiges Bild haben wie noch vor zwanzig Jahren über Neandertaler.
Wenn wir männliche Sexualität darauf reduzieren
-und mit „wir“ meine ich durchaus Frauen UND Männer -, dass sie kindisch, schlichter gestrickt und insgesamt latent misstrauenswürdig ist, haben wir uns gehörig vermessen! Wundert es einen da noch, wenn namhafte Sexualtherapeuten wie Ulrich Clement oder Ann-Marlene Henning eine zunehmende Unlust bei Männern registrieren? Vielleicht sind Männer in ihrer Sexualität ja gar nicht simpler gestrickt als Frauen. Auch wenn Ulrich Clement im Interview in der Zeit.de – wie ich vermute in durchaus kalkulierter Provokation – genau diese These einmal mehr in den Raum des öffentlichen Diskurses geworfen hat. Saleem Matthias Riek und Rainer Salm beginnen jedes der 15 Gespräche mit Männern in ihrem lesenswerten aktuellen Buch „Lustvoll Mannsein“ mit der Frage: Bist du ein normaler Mann? Dass keiner dieser Männer diese Frage mit JA beantwortete, stimmt mich nachdenklich. Ich bin jedenfalls, seit ich mich bewusst mit dem Thema männlicher Sexualität beschäftige, noch keinem einzigen Mann begegnet, in dessen Brust kein fühlendes Herz schlägt, das Liebe, Trauer, Freude, Angst, Schmerz, Verunsicherung, Wut und vieles mehr zu Empfinden in der Lage ist! Sie alle sind durch und durch huMANNoid und sind in meinen Augen damit so normal wie die von Riek und Salm interviewten Männer.
Statt männliche Sexualität fortgesetzt mit generalisiertem Misstrauen zu betrachten,
wäre es in meinen Augen an der Zeit, zu untersuchen, ob wir dem trauen wollen, was Medien, Gesellschaft und letztlich wir selbst uns über männliche Sexualität vermitteln.
Ich gebe zu: wenn ich sehe, wie Frauen in den letzten Jahren sich nach und nach eine liebevoll positve und unbeschämte Haltung zu sich selbst, ihrem Körper und ihrer Sexualität entwickeln und dies z.B. mit Schmuck in Form kleiner Vulvinchen feiern, oder im The Nu Project den weiblichen Körper in seiner natürlichen Schönheit würdigen, dann ist es auch für mich als Mann schön, das mitzuerleben. Und dann wünsche ich mir eine ähnliche Entwicklung für uns Männer. Ich wünsche mir eine offene, gerne auch kritische, aber nicht auf Misstrauen eingeengte, liebe- und freudvoll zugewandte männliche Sicht auf männliche Sexualität. Und so lautet meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage:
Männliche Lust ist noch lange nicht vermessen. Aber vielleicht sollten wir damit anfangen. Wir hätten viel zu gewinnen.
Eilert Bartels
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