Über Eilert Bartels

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Dankbarkeit und Einsamkeit

Dankbarkeit und Einsamkeit

Dankbarkeit und Einsamkeit – Gedanken und Gefühle nicht nur zur Weihnachtszeit

Es gibt – inzwischen – vieles in meinem Leben, wofür ich dankbar bin. Dass ich ein Dach über dem Kopf habe, genug zu essen, dass ich die unfassbare Freiheit habe, auf die Art und Weise zu arbeiten, wie es mir entspricht und woran es mir entspricht, vor allem aber, dass es Menschen in meinem Leben gibt, die mich lieben und mich nehmen, wie ich bin. All das erfüllt mich mit Freude.
Manchmal aber verliere ich den Kontakt zu meinem Gefühl der Freude. Dann bricht sich in mir etwas Bahn, das tief in meinem Inneren lebt, dort, wo es dunkelschwarz ist, voller Schmerz und Endlosigkeit. Etwas, das immer mit dabei ist, und umso mehr sich Bahn bricht, je weniger ich es dabei haben will.

Einsamkeit.

Diese Einsamkeit hat nichts damit zu tun, ob ich gerade allein bin, oder viele Menschen um mich herum sind. Sie hat auch nichts damit zu tun, ob es Menschen in nah und fern gibt, die mir zugewandt sind oder mich sogar lieben. Ich vermute, dass einen Teil dieser Einsamkeit die frühkindliche Erfahrung des Verlassen-Seins ausmacht. Ich ahne, dass selbst ohne diese Erfahrung das Einsam-Sein zum Mensch-Sein dazu gehört. Und ich glaube, dass Einsamkeit etwas ist, das ich als Mensch nicht vollständig überwinden kann.
Wir können uns zwar miteinander verbinden, etwa darüber, dass wir Erfahrungen miteinander teilen. So wie ich es hier gerade tue, indem ich diesen Text schreibe. Wir können zum Beispiel die Erfahrung miteinander teilen, wie eine Ananas schmeckt. Und dennoch: selbst da bleibt etwas, was ich nicht teilen kann. So sehr ich mich bemühe, es dir zu beschreiben: Du wirst niemals erleben, wie MIR eine Ananas schmeckt. Mit dieser Erfahrung bleibe ich einsam. Ich könnte es auch so schreiben: „ein-sam“. So, wie Zwei-samkeit Momente beschreibt, die wir gemeinsam – nur zu zweit – miteinander erleben, nur uns beiden gehören, sind Momente der Ein-samkeit Momente, die nur mir allein gehören. Die auch kostbar sein können.

Aber kehren wir zurück

zu diesem Teil von Einsamkeit, der an die Erfahrung des Verlassen-Seins anknüpft. Denn ich weiß, dass es in meinem Leben Momente im Jahresverlauf gibt, die massiv dazu beitragen können, dass dieser Teil von Einsamkeit sich Bahn bricht, dorthin, wo es dunkelschwarz ist, voller Schmerz und Endlosigkeit. Weihnachten ist so ein Moment, wo das passieren kann. Ebenso regelmäßig wiederkehrende Rituale wie zum Beispiel das Feiern meines Geburtstags, usw. Kurz: Momente, in denen von mir erwartet wird, dass ich mich auf eine bestimmte Weise fühlen sollte. „Dankbar fühlen“, zum Beispiel, „fröhlich fühlen“, zum Beispiel.

„Lasst uns froh und munter sein!“

– manchmal passt es. Dann ist alles gut. Dann fühle ich mich dabei, verbunden mit Euch und in Gemeinschaft.
Manchmal aber bin ich nicht froh, nicht munter. Manchmal bin ich erschöpft, nachdenklich, still, bewegt, berührt. So wie in diesem Jahr, nachdem ich 16 Frauen interviewt habe und seit einem halben Jahr täglich an den Abschriften arbeite.
Und plötzlich stand Weihnachten vor der Tür.
Ich bin Familienvater. Ich bin in unserer Familie hauptsächlich derjenige, der kocht, nicht nur, aber eben auch zur Weihnachtszeit. Es war verabredet, was wir an welchem Tag essen wollen, und dass wir etwas gemeinsam machen. Spazieren gehen, Spiele spielen, all so etwas. Wie dankbar darf ich sein, Familie zu haben, das „Fest der Liebe“ nicht allein erleben zu müssen! Gerade zu Corona-Zeiten!

Und dennoch: Ich war dieses Jahr nicht froh und munter.

Und es ist zum großen Teil ein Druck, den ich mir selber gemacht habe, etwa, wenn mir liebe Menschen Weihnachtsgrüße schicken. Per WhatsApp, E-Mail oder sogar – ganz altmodisch, per Post. Dann ist der Gedanke da: „Du hast es vermasselt. Du hast keine Glückseligkeit verbreitet! Du hast es versäumt, frohe Weihnachten zu wünschen. Deinen Freunden nicht, Deinen Geschäftspartnern nicht.“ usw.
Das ist der Moment, wo ich mich selbst verlasse.
Denn jetzt, nachdem der „Spuk“ vorbei ist, und ich diesen Text schreibe, ist mir klar, dass auch ich selbst diesen Teil von Einsamkeit wachrufe. Diesen Teil, der an der Erfahrung des Verlassen-Seins anknüpft, dort, wo es dunkelschwarz ist, voller Schmerz und Endlosigkeit.
Ich rufe diesen Teil von Einsamkeit durch Verlassen-Sein in mir wach, solange ich der Vorstellung folge, dass Rituale auf eine bestimmte Art und Weise gefeiert werden müssten, und bestimmte Gefühle hervorrufen müssten. „Lasst uns froh und munter sein.“

Mir wird klar, dass ich selbst es bin,

der das Gefühl des Verlassen-Seins ins mir wachruft, wenn ich mich dazu auffordere, so zu fühlen, wie ich im Moment aber nicht fühle.Nein, das muss ich nicht! Ich muss nicht „froh und munter“ sein, wenn ich erschöpft, nachdenklich, still, bewegt, berührt bin. So wie in diesem Jahr.
Dann kann ich für mich Wege suchen und finden, Weihnachten auf meine Weise zu feiern. Dann darf ich Schmerzen, Trauer, Nachdenklichkeit spüren, darf einfach still dabei sein, und mir – in mir und für mich  – Raum geben, dass die Gefühle da sein dürfen. Das geht auch, ohne die Menschen um mich herum in Mitleiden-schaft zu ziehen. Indem ich zum Beispiel sage: „Ich bin gern mit Euch zusammen. Nur ist es in mir gerade nicht „froh und munter“, und ich würde mich freuen, wenn ich gerade einfach so sein darf, wie ich bin, während ich mit euch zusammen bin.“
Das für mich Spannende ist:

Dadurch bin ICH dann bei MIR.

Ich verlasse mich selbst nicht mehr, weil ich mich annehme mit dem, wie ich bin und mit dem, was ich gerade fühle.
So kann dieser Teil von Einsamkeit in mir, der an die Erfahrung von Verlassenheit anknüpft, endlich Frieden finden. Und ja: Jetzt klappt es auch mit der Dankbarkeit. Ich bin dankbar, dass ich mir erlauben kann, zu fühlen wie ich fühle, und die Verantwortung dafür bei mir halten kann. Dann habe ich mich bei mir.

Und ich bin dankbar, Menschen um mich herum zu haben, die mich so nehmen, wie ich bin. Sehr dankbar.
Danke, dass es Euch gibt!

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

2020-12-29T09:05:14+00:004 Kommentare

Räume bewusst gestalten

Räume bewusst gestalten

Die Corona-Krise fordert uns alle

auf eine für viele Menschen neue Weise heraus.

Das gilt besonders auch für Paare. In Zeiten von Homeoffice und Ausgangsbeschränkungen wird nun noch wichtiger, was von jeher für unsere Praxis Beziehungsperspektive Leitgedanke ist:

„Stabile, erfüllende Paarbeziehungen setzen eine gute Beziehung zu sich selbst voraus.“

Den eigenen Raum wahrnehmen und würdigen zu lernen, ist nicht nur dafür wichtig, um sich abgrenzen zu können, sondern ganz besonders auch, um bewußte gemeinsame Räume der Begegnung miteinander gestalten zu können.
Das gilt umso mehr derzeit, wo wir wegen Corona und der Ausgangsbeschränkungen „aufeinander hocken“.
Vielleicht ist aber auch gerade jetzt die Chance gut, mit- und aneinander zu wachsen!

Es mag sein, dass viele Paare sich im Moment, oder sowieso schon länger, so aneinander gebunden fühlen wie die beiden Tassen oben im Bild. Sich bewusst zu machen, dass Sie – auch, wenn Sie sich gebunden haben – ganz und eigenständig sind, so wie jede der beiden Tassen im Bild, gibt Ihnen die Möglichkeit, sowohl Freiräume für den Einzelnen als auch gemeinsame Räume des Miteinanders zu gestalten.
Die Corona-Krise ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance, dies für sich und miteinander zu lernen.

Wir haben uns in unserer Praxis dazu ein paar Gedanken gemacht, die wir Ihnen hier gern als unterstützende Anregungen anbieten.

Das Wichtigste zuerst:
Machen Sie sich klar, dass es überall, wo Menschen zusammenleben, sowohl Raum für jede und jeden Einzelnen braucht, als auch so etwas wie Räume des gemeinsamen Erlebens.

Ohne Grenzen kein Raum.

Völlig klar: schon unser Körper definiert sich über seine Grenzen. Unsere Haut bildet ganz natürlich eine Begrenzung unseres Körpers. Ohne Begrenzung würden wir unsere Gestalt und unser Gefühl für uns selbst verlieren. Wenn wir z.B. in einem Auto sitzen, sind wir darüber hinaus sogar in der Lage, „unseren Raum“ bis zu den Grenzen der Autokarosserie auszuweiten.
Und wir reagieren verständlicherweise empfindlich, wenn jemand die Grenzen gegen unseren Willen übertritt, etwa, wenn uns jemand in den Kofferraum fährt, oder auch nur beim Spurwechsel zu nahe kommt. Gleichwohl freuen wir uns vielleicht auch, wenn wir nicht alleine Auto fahren, sondern einen freundlichen Menschen zur Mitfahrt in unseren Raum einladen können.

An diesem Beispiel wird klar:

Es braucht Grenzen

Sie sind ein ganz eigener Mensch. Ein Mensch mit eigenen Grenzen, aus denen heraus Sie Ihren eigenen Raum gestalten, den sie für sich alleine haben, aber in den Sie auch andere Menschen einladen können, wenn Sie möchten. Und erst das Bewusstsein für Ihren eigenen Raum macht es möglich, zu unterscheiden zwischen

„Dies hier ist mein eigener Raum“

und
„Das ist unser gemeinsamer Raum.“

Diese Unterscheidung ist wichtig!
Denn ohne ein klares Gefühl für den eigenen Raum lassen sich auch willkommene gemeinsame Räume nicht gestalten!
Um beim Autovergleich zu bleiben:
Dann spüren wir nicht mehr klar, ob mein Gegenüber gerade unwillkommen in meinem Kofferraum ist oder freundlich eingeladen als mein Mitfahrer auf dem Sitz neben mir in meinem Raum ist.

Räume gestalten

Wenn wir bezogen auf Beziehungen von Räumen sprechen, so meinen wir damit:

  • innere Räume, also sinnbildliche Räume, z.B. sind Sie ein eigener individueller Mensch mit ganz eigenen Gedanken, Bedürfnissen und Wegen, diesen zu folgen.
  • äußere Räume, also die reale Umgebung: z.B. die Zimmer der gemeinsamen Wohnung, oder auch nur ein Bereich innerhalb eines Zimmers, z.B. ein Arbeitsplatz, ein Lesesessel, …und auch
  • Zeiträume, innerhalb dessen innere und äußere – eigene und gemeinsame -Räume gestaltet werden.

Fangen Sie also am Besten damit an, sich Ihren eigenen Raum bewusst zu machen.

Gestaltung des inneren Raums

Nehmen Sie sich hierfür doch einmal ein Stündchen Zeit für sich.
Legen Sie sich einen Stift und ein Blatt Papier zur Hand und schreiben auf, was Ihnen dazu einfällt: Wenn Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse blicken, auf das, was Sie gerne tun, was Ihnen wichtig ist, was sie allein tuen wollen oder auch müssen, und worüber sie sich freuen, es in Gemeinschaft zu machen.
Solch eine Liste kann dann z.B. so aussehen:

  • Arbeiten (muss ja schließlich sein)
    ein Buch lesen
  • Yoga
  • essen
  • schlafen
  • einfach chillen und niemanden sehen und hören
  • mich abreagieren, wenn ich wütend bin
  • spazieren gehen (zu zweit)
  • joggen (allein)
  • Duschen, Baden
  • Sex haben (mit mir allein)
  • Sex haben (gemeinsam)
  • heimwerken
  • Musik machen
  • mit Freunden telefonieren
  • Social Media
  • am PC gamen

Was auch immer Ihren persönlichen Bedürfnissen und Wichtigkeiten entspricht: schreiben Sie es auf.
Sie sehen schon: wenn man einmal bewusst darüber nachdenkt, ergibt sich fast von selbst, wo sie gern Zeit und Raum für sich alleine haben möchten, und wo Sie sich über gemeinsame Zeit und gemeinsamen Raum freuen.

Nun haben Sie schon eine gute Grundlage für die

Gestaltung des äußeren Raumes:

Zeichnen Sie doch einmal den Grundriss der gemeinsamen Wohnung auf.
Was erleben Sie in den verschiedenen Bereichen Ihrer Wohnung?
Nehmen sie verschiedenfarbige Stifte zu Hand und tragen in die Grundrisszeichnung ein:
Wo in der Wohnung ist für Sie „mein“ Bereich? Die Ecke, das Zimmer, wo Sie sagen können: „Ja, hier fühle ich mich wohl und sicher.“ Oder auch: „Hier kann ich zur Ruhe kommen.“ Oder auch: „Hier mag ich es, wenn wir uns begegnen.“ Oder: „Hier komme ich richtig in Aktion.“ Was auch immer Ihren Bedürfnissen nach eigenem Raum entspricht.
Möglicherweise gibt es eine Ecke, ein Bereich oder ein Zimmer, wo sie gerne sagen:
„Hier funkt mir keiner rein! Hier darf nur ich verändern und gestalten.“ Oder ist Ihnen das vielleicht gar nicht so wichtig? Spüren sie da ruhig einmal hin, wie es wirklich ist!

Je nachdem, ob sie über eine große Wohnung, ein großes Haus mit vielen Zimmern verfügen, oder ob Sie sich eine kleine Einzimmerwohnung teilen, können nun ganze Zimmer, vielleicht aber auch einfach ein Bord eines Regals und Ihr Lieblingsstuhl „Ihr Raum“ sein, in dem Sie bestimmte Dinge gern erleben oder tuen.

In der Krise, aber auch sonst im Alltag:

Gestalten Sie sich Zeiträume, um miteinander zu sprechen,

und zwar über wesen-tliches: Über das, was Ihren inneren Raum ausmacht. Ihre Bedürfnisse, Wünsche, Visionen, Ängste.
Vielleicht lösen sich darüber ja sogar langjährige Missverständnisse auf.
(Denken Sie nur an die obere Brötchenhälfte, die wir so oft dem Partner überlassen, weil wir denken, er oder sie möge diese lieber als die untere Brötchenhälfte!)

Tauschen Sie sich mit Ihrem Partner über Ihre jeweiligen Raumbedürfnisse aus. Vielleicht gibt es Überschneidungen oder Raumkonflikte? Wie lassen sich diese lösen?
Welche Ideen lassen sich entwickeln? Vielleicht lässt sich z.B. die Nutzung des Regals im Wohnzimmer anders aufteilen? Und vielleicht lassen sich Zeiträume vereinbaren, in denen derselbe Bereich einmal „mein“ Raum und einmal „dein“ Raum ist?
Wie andere Räume auch, haben Zeiträume eine Begrenzung, einen Anfang und ein Ende.

Vielleicht kann Sie dies dabei unterstützen, gut durch die Corona-Krise und die viele Zeit zuhause zu bringen.

Sorgen Sie gut für sich,

indem Sie sich selbst die Freiheit verschaffen, Ihren eigenen Raum zu gestalten.
Dadurch kann es auch im partnerschaftlichen Miteinander leichter fallen,
auch dem Anderen diese Freiheit einzuräumen.
Und gleichzeitig wissen Sie vielleicht besser, was Sie gerne bewusst gemeinsam miteinander erleben wollen.

Und das ist nicht nur in Zeiten von Corona wichtig.
Aber warum sollten Sie diese besondere Zeit nicht auch dafür verwenden, sich das für die Partnerschaft bewusst zu machen?


Für Sie da

Wir sind zur Zeit via Skype und telefonisch gern für Sie da, wenn wir Sie unterstützen können, die Krise möglichst gut für sich und ihre Partnerschaft zu nutzen.
Für Termine erreichen Sie uns wie gewohnt per E-mail über kontakt@beziehungsperspektive.de
oder per Telefon 030 / 757 08 434 .

Kommen Sie gut durch die nächsten Wochen und vor allem:  Bleiben Sie gesund!

Ihre Praxis Beziehungsperspektive

Judika und Eilert Bartels

2020-03-29T14:00:18+00:000 Kommentare

Jahresrückblick 2019

Jahresrückblick 2019
Drei Jahre ist es her,
seit ich dem Impuls gefolgt bin, und erstmals einen Jahresrückblick geschrieben habe. Damals war es die Initialzündung zum Projekt huMANNoid | Männer sind Menschen, das mich seither intensiv begleitet und für das ich natürlich auch da bin, ist es doch „mein Baby“ gewesen.
Seither stehe ich mit dem Projekt in der Öffentlichkeit, und auf der gleichnamigen facebook-Seite findet Ihr alles darüber, wie sich das Projekt entwickelt hat, so dass ich das hier nicht ein weiteres Mal ausbreiten will.


Andererseits bin ich so sehr mit dem Projekt und dem Buch verbunden, dass es natürlich auch in diesem Jahresrückblick eine zentrale Rolle spielen wird. Hier will ich aber den Fokus mehr darauf legen, was das Jahr, das Projekt und das Buch mit mir selbst, dem Mann und Menschen Eilert, gemacht hat.


 
Das Jahr 2019 war krass.
Es war intensiv und fordernd, es hat mir alles abverlangt und noch mehr gegeben. So richtig weiß ich noch nicht, was sich daraus entwickeln wird in den nächsten Jahren.

Sicher ist: Es hat mich verändert. Ich bin sicherer in mir geworden. Mit dem Projekt habe ich mich so sehr in meiner Ganzheitlichkeit gezeigt wie nie zuvor, habe mich „nahbar“ gemacht, wie es eine Freundin ausdrückte, so dass es zur Zeit wenig im Außen gibt, was mich nachhaltig aus meiner Mitte bringt. Ich bin dankbar dafür.

Zugleich hat es mich sensibler gemacht, fast hätte ich verletzlicher geschrieben, aber das trifft es nicht. Eher ist es so, dass ich alte Verletzungen deutlicher spüre, von denen ich zum Teil weiß, dass es Themen in meiner Biografie sind, die ich vielleicht noch bearbeiten darf.
So ist mir im November noch einmal deutlicher bewusst geworden, wie viel Schmerz in mir ist aus der Kindergartenzeit und der Schulzeit, die teilweise von Mobbing und Ausgegrenztsein geprägt war.

 
Das ist die Ebene, die ich bearbeiten kann, auf der ich zuversichtlich und ohne große Angst bin. 
Ich habe in meinem Leben gelernt, Verletzungen anzusehen, zu integrieren und zu transformieren.
 Und das gelingt mir auch allein schon mit dem Projekt selbst: Hier gehe ich mit Menschen in Kontakt, zeige mich, spreche vor Menschen, die mir zuhören (oh, wow!) und bin in diesen Momenten da, voll und ganz präsent.
Sich verletzlich zeigen zu können, das, was früher einmal Gefahr und fast so etwas wie ein „soziales Todesurteil“ war, ist heute – wo ich in der Lage bin, gut für mich und diese verletzten inneren Anteile zu sorgen – ein großes Potential geworden.

Während meiner therapeutischen Ausbildungen sagte ein Mit-Lernender zu mir: „Eilert, Du bist Dir Deiner Macht nicht bewusst.“ Ich wusste das damals noch nicht zu greifen, was er mir damit sagen wollte. Erst allmählich begreife ich. Danke, für diesen wichtigen HInweis!



Es gibt aber noch eine weitere Ebene, die tiefer geht als meine Biografie, mein 51jähriges Leben.
 Eine Ebene, die so viel größer ist als ich, zu groß, um sie wirklich ganz zu überblicken.
 Eine Ebene, angesichts welcher ich manchmal Ohnmacht und Verzweiflung spüre.

Es gibt die Ebene kollektiver Verletzung von Geschlechtlichkeit und Sexualität, die wohl Zeit meines bisherigen Lebens innere Triebfeder ist, mich mit Geschlecht, mit Sexualität und all den Debatten darüber auseinanderzusetzen.
Seit sechs Jahren verfolge ich dabei Gedankenstränge anderer Menschen, die sich zum Thema äußern, aber auch meine eigenen. Ich spüre: Ich sitze da auf etwas, was ich intuitiv zu verstehen beginne, und was raus will, was in Worte und Bilder gebracht werden will. Und ich habe Angst davor! Ich probiere mich damit noch aus in wenigen Vier-Augen-Gesprächen. Ich spüre den Impuls, einen Text dazu zu schreiben. Aber nicht hier und jetzt.
 Der Jahresrückblick ist eh schon so lang.
 
In meinen Lesungen
lese ich immer auch die Zeilen:
„Ich habe genug vom Geschlechterkrieg. 
Mit dem Buch, das ich Euch heute vorstelle, will ich aus dieser Debatte aussteigen.
Vielmehr geht es mir darum, eine ganzheitlichere Sicht auf männliche Menschen zu ermöglichen. Eine Sicht, die nichts verschweigt und nichts beschönigt. Kein Ringen um Rollen und Klischees. Keine neuen Ideale. Ich bin überzeugt davon:
Wir müssen Reifrock und Ritterrüstung ablegen.
 Wenn wir einander wirklich sehen und berühren wollen, müssen wir uns zeigen. Jenseits aller Rollen. Und ich glaube, so wird es auch möglich, einander zu verstehen.“


In diesem Jahr 2019, in dem das Buch erschien, bin ich tatsächlich zunehmend aus der Debatte ausgestiegen.
Das Buch huMANNoid | Männer sind Menschen erschien Ende März, und es gab erstmal viel Freude und Wirbel um das Buch. Viel Anerkennung für meine „Arbeit“, erste Rezensionen erschienen von wunderbaren Menschen, mit denen ich über meine Arbeit schon seit Jahren verbunden bin. Eine gute Freundin meinte: Das Buch wird einschlagen wie eine Bombe! Es gab allererste Lesungen: Die Buchpremiere am 13. April bei uns in der Praxis, dann zwei geschlossene Lesungen auf dem Bundesweiten Männertreffen und dem Barcamp Sex. Eine erste – und bisher die einzige, aber dafür umso wundervollere Buchbesprechung in den „richtigen öffentlichen Medien“ von Mithu Sanyal im Radio (WDR).

(So sehr danke dafür, liebe Mithu!!!)
 
Und danach, ab Anfang Juli, kam erstmal …
nichts …


Funkstille.
Keine Reaktionen, keine Buchbestellungen, nichts.
Journalist*innen und andere Menschen, die angebotene Rezensionsexemplare gern angenommen hatten, antworten auf meine Nachfragen nicht mehr, Menschen, die Lesungen organisieren wollten, meldeten sich zunächst mal nicht mehr zurück. Das tat ganz schön weh, wenn ich ehrlich bin.

Ignoriert zu werden ist immer noch eine krasse Erfahrung für mich.
 
Ich dachte trotzdem erst einmal: okay, ist vielleicht ganz gut. Zeit, das alles zu verarbeiten, und Pläne für die zweite Jahreshälfte zu machen. Alles los zulassen. 
Urlaub in Schottland, mit Judika und unseren fast erwachsenen Kindern waren wundervolle zwei Wochen, um sich daran zu erinnern, dass es neben meiner „Arbeit“, und sei sie noch so wichtig, auch noch ein Leben gibt. Einfach sein, eintach atmen.

 
Mitte Juli kam ich aus dem Urlaub zurück …
und fiel in ein Loch.
 

Ich war müde, so müde. Ab und zu las ich Artikel oder Posts meiner Facebook-Freundinnen und Freunde, Artikel zur Geschlechterdebatte, Femizide, Männergewalt, immer und immer wieder über toxische Männlichkeit, alte weiße Männer und dachte:
Nein! Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr. 

Fühlte Endlosigkeit, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Fragte mich: Wozu habe ich dieses verfickte Buch eigentlich gemacht. Es wird Zeit, dass wir diese Debatte endlich überwinden! Ich will raus aus dieser Hölle. Zwischendurch habe ich gedacht:
„Wenn ich morgen nicht mehr aufwache, wäre ich froh.“
 
Einer Freundin schrieb ich neulich über diese Phase:
„Also ich habe tatsächlich das Gefühl, mir sitzt da eine kollektive Geschlechtertraumatisierung in den Körperzellen. Ich reagiere manchmal so stark körperlich beim bloßen Lesen mancher Artikel. Du kennst vermutlich die Klagen „alter weißer Männer“ darüber, dass sie sich einer Hexenjagd ausgesetzt fühlen. Ich weiß nicht, ob diese Männer das wirklich so empfinden, oder ob das als Abwehr von Veränderung nur so daher gesagt wird. Aber ich kenne das Gefühl körperlich. Manchmal bekomme ich beim Lesen von Artikeln, die die Geschlechterrollen so unausweichlich festnageln HerzrhythmusStörungen, einen Klumpen im Bauch, der um sich frisst. Es fühlt sich dann nach unterschwelliger Panik an.“
(Es gibt einen Teil in mir, der auf kollektiver Ebene zu verstehen beginnt, warum die Suizidrate von Männern so hoch liegt.)

Und dann habe an mir selbst gezweifelt:
Ist das alles nur meins? 
Stimmte meine Motivation nicht? Bin ich einmal mehr meiner Sucht nach Anerkennung aufgesessen? Bereits zehn Jahre zuvor hatte ich nach 30 Jahren Musizierens das Musikmachen aufgegeben, als ich erkannt hatte, dass es mir nicht um die Musik selbst ging, sondern um die verfickte Anerkennung! Die bekam ich für meine Musik sogar, aber die Anerkennung kam damals nicht in meinem Herzen an. War es diesmal wieder so?
 
Mit der Zeit und mit vielen Gesprächen mit engen Freunden (danke, dass es Euch in meinem Leben gibt !!!) kam ich im Laufe des August/September aus diesem Loch wieder raus, und wusste zweierlei:

Erstens: Ich habe das Buch auf jeden Fall um seiner selbst Willen und für mich gemacht. Ich bin daran gewachsen, habe mich entwickelt, und bin mit anderen Menschen in Begegnung gegangen wie vielleicht noch nie zuvor. 
Zweitens: Anerkennung haben zu wollen ist voll okay! Es steckt nicht nur wahnsinnig viel Zeit und Geld in meiner Arbeit, sondern ich will und darf damit auch gesehen werden. Vor allem von mir selbst! Gesehen werden ist überhaupt das elementarste Grundbedürfnis eines jeden Menschen! 

Aber ich darf „mein Baby“, das ich in die Welt gebracht habe, auch loslassen, es „Kind“ werden lassen, auch mal ein paar Schritte allein gehen lassen.
 

Seither bin ich aus dem Loch raus.
Und es kam auch alles wieder in Bewegung, kamen die Menschen wieder auf mich zu, die mich einladen wollten, bei sich zu lesen, und innerhalb einer Woche waren alle fünf Lesungen im November klargemacht.

„Dein Buch sollte eigentlich durch die Decke gehen.
Das ist so wichtig. Und so berührend.“ schrieb mir vor ein paar Tagen eine Freundin.
Nun, es geht bisher nicht durch die Decke Es schlägt auch nicht ein wie eine Bombe.
Daran änderte bislang auch nichts, dass ich noch einmal Geld investiert habe für einen professionellen PR-Menschen, der hunderte von Pressevertretern für das Buch angeschrieben hat. Die Reaktion in der breiten Öffentlichkeit ist bisher praktisch gleich null.

 
Aber da, wo Menschen mit meiner Arbeit, wie es viele nennen, in Berührung kommen, bewegt es die Menschen. Und dafür hat es sich gelohnt. Aber sowas von!
Gerade erst in den letzten Tagen schrieb mir der Veranstalter einer der huMANNoid-Lesungen: „Eines der Highlights in 2019 war dein Buch und die Lesung mit dir bei mir!!! Die Beziehungen zu Menschen, welche auf der Lesung waren, haben sich intensiviert. … Es war richtig und wichtig, dich hier zu haben!“

Eine Freundin schreibt mir: „Insbesondere wollte ich dir erzählen, wie sehr mir die Männer in deinem Buch über eine schwere Zeit hinweggeholfen haben. Ich konnte mich in jedem von Ihnen wiedererkennen, habe mit ihnen gelacht und geweint. Es ist wie eine Reise zu einem selbst! All die Perspektiven, die in uns allen schlummern, doch nicht rauskommen, erst wenn sie getriggert werden! Vielen Dank für dieses wundervolle Geschenk!“


 
Ich bin so dankbar für alles, was mir mein Leben und meine Arbeit in diesem Jahr geschenkt hat.
 An dieser Stelle merke ich, wie schwer es mir fällt, „Arbeit“ und Leben voneinander zu trennen. 
Aber ich bin dankbar zu spüren und zu erkennen, dass das alles, mein Leben, meine Arbeit einen Sinn ergibt.
Das von meiner 2015 verstorbenen Mutter geerbte Geld hat mich die letzten Jahre sehr unterstützt, aber das wird es nicht in alle Zukunft. Danke, dass Du mich genährt hast, Mutti!
 Du bist zwar meinen Fragen ausgewichen, aber Du hast mich nicht infrage gestellt, sondern an mich, Dein Kind, geglaubt. Danke, dass Du mich auch in Zeiten versorgt hast, in denen ich Dich durchaus infrage gestellt habe. Heute beginne ich, zu verstehen.


Was das neue Jahr bringt?
Ich weiß es nicht. Aber ich bin zuversichtlich.
Mein „Kind“ wird weiterlaufen, eigene Schritte machen, und ich sehe meine Aufgabe darin, da zu sein, wenn es mich braucht. Aber ich werde nicht mehr jeden Atemzug überwachen müssen. Im Januar gibt es nochmal drei Lesungen in Wuppertal, Bonn und Köln, dann noch eine Lesung im Oktober in Nürnberg. Alles weitere wird sich finden.

Ich wünsche mir, dass meine Arbeit mich künftig mit genügend Geld versorgt, damit ich sie fortführen kann.


 
Ideen habe ich eine ganze Menge – die nächsten Jahre werden mir mit Sicherheit nicht langweilig.

Gemeinsam mit Judika und Amrita Torosa wird es am 20.3. – zum Weltglückstag in unserer Praxis Beziehungsperspektive einen Workshop zum Geschlechterglück geben. Ich bin gespannt, was wir da aushecken werden.

Judika und ich tragen uns mit dem Gedanken, unsere Erfahrung und unser Wissen aus 30 Jahren Beziehung und fünf Jahren Paartherapeutischen Arbeitens in Buchform zu bringen.

Ein guter Freund möchte mit mir ein Buch zum Thema „Gewalt“ schreiben.

 
Aber was mich selbst eigentlich seit Beginn des Projektes huMANNoid | Männer sind Menschen begleitet: Ich will das Projekt auch noch einmal mit Frauen machen.
 Eine Freundin schrieb mir dazu neulich: „Ich wäre vorsichtig, das Buch als Mann mit Frauen zu machen.“

Mein Gedanke dazu: Ich habe huMANNoid als Mensch mit Männern gemacht. Männer sind Menschen. Frauen sind Menschen. Und als Mensch dieses Buch auch mit Frauen zu machen, würde es für mich erst rund machen. Denke ich da zu naiv? 


 
Wir werden sehen, was uns das neue Jahr 2020, das neue Jahrzehnt bringt.

Ich wünsche Euch und uns allen ein gutes und bewegend berührendes Jahr 2020.
Machen wir etwas Gutes daraus!


 
Jahresrückblick

Eilert Bartels

2020-01-05T20:40:40+00:000 Kommentare

Erfüllende Sexualität – Raus aus dem Druck!

Erfüllende Sexualität – Raus aus dem Druck
Wenn ein Milchkaffee erfüllende Sexualität sein kann


Foto: ulleo / Pixabay

Eine erfüllende Sexualität

Wer wünscht sich das nicht? „Eine erfüllende Sexualität ist es, wenn zwei Menschen danach erschöpft, glücklich und zufrieden in ihre Kissen sinken.“ meldete sich spontan eine Frau mit leuchtenden Augen, als meine Partnerin und ich in einem Gesprächskreis zum Thema „Meine Sexualität“ danach fragten, was eine „erfüllende“ Sexualität eigentlich sei. Dann hielt sie einen Moment inne und das Leuchten in ihren Augen verlosch, ehe sie zögerlich sprach: „Aber dahin zu kommen, das ist die große Schwierigkeit.“ Es scheint also, als müssten wir erst mal Anstrengungen auf uns nehmen, um schließlich zum Ziel zu kommen.

Was eine erfüllende Sexualität sei,

und welche Bedingungen dafür erfüllt werden müssen, das vermitteln uns auch Illustrierte, Film und Fernsehen. Filmpaare mit perfekten Körpern setzen uns Bilder in den Kopf. Zeitschriften und Magazine legen nach: „7 Tricks, wie du sie ins Bett kriegst.“ „10 Tipps, wie er dich sexy findet“, usw. Wir alle sind bis zum Rand vollgestopft mit unzähligen Botschaften über unsere Sexualität, unsere Lust und unsere Körper. Wir haben Vorstellungen und Bilder verinnerlicht, wie unser Sex sein sollte, oder auch darüber, wie es doch tatsächlich sei. „Er muss es ihr besorgen können.“, „Sie braucht ein langes Vorspiel.“, „Männer wollen nur das Eine.“, „Sie muss sexy sein.“, „Die erogenen Zonen der Frau sind nicht leicht zu finden.“ „In langen Partnerschaften schwindet auf Dauer die Lust aufeinander.“ und so weiter. Das Problem ist: Bei so vielen Botschaften und Bildern schwindet auch die Lust auf Sex. Eine „erfüllende“ Sexualität scheint nicht so einfach zu sein.

Wie eine Aufgabe,

die es – nun ja – eben zu erfüllen gilt. Oder zumindest wie ein lang gehegter Wunsch nach etwas, vor dessen Erfüllung erst bestimmte Bedingungen erreicht werden müssen. Wer jemals als Kind sein Taschengeld über viele Monate gespart hat, um sich einen großen Wunsch zu erfüllen, wer jemals eine Woche brav sein musste, damit man am Wochenende mit ins Kino durfte, kennt das. Es ist das Gefühl, Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen und Bedingungen „erfüllen“ zu müssen, um ein Ziel zu erreichen. Und genau das ist es, was einer „erfüllenden“ Sexualität dann im Wege steht: Wie will ich erschöpft, glücklich und zufrieden in mein Kissen sinken, wenn mir nicht bereits das, was davor passiert, Freude und Erfüllung bereitet?

Es lohnt sich also,

sich aus der Vorstellung, etwas erfüllen zu müssen, zu verabschieden. Worum geht es uns eigentlich, wenn wir miteinander Sex haben wollen? In unserer Praxis fragen wir die Menschen gelegentlich danach: „Was ist es, was eine gemeinsam gelebte Sexualität für dich wertvoll macht?“ Eine junge Frau hat das neulich wunderbar zusammengefasst: „Vom Alltag abschalten zu dürfen und endlich nicht mehr funktionieren zu müssen. So sein zu dürfen, wie ich bin und mich dabei angenommen und geborgen zu fühlen – mich gesehen zu fühlen.“
Das befriedigt elementare Grundbedürfnisse des Menschen. Mit dem Erfüllen von Rollen ist das nicht vereinbar. Da kann ich noch so sehr versuchen, die Rolle des tollen Lovers oder der sinnlichen Geliebten zu erfüllen: Wenn ich das jetzt, in diesem Moment nicht bin und nicht fühle, kann ich mich auch nicht gesehen und angenommen fühlen. Wenn wir einander wirklich sehen wollen, dann geht das nur, wenn wir alle Rollen ablegen.

Es ist möglich,

verinnerlichte Botschaften und Rollen zu erkennen, sie anzuschauen und zu hinterfragen: „Stimmt das für mich? Bin ich das wirklich? Fühlen sich diese Botschaften und Rollen gut an? Oder geht es mir nicht gut damit? Empfinde ich dabei Druck? Oder Angst, oder Trauer? Welche Glaubenssätze haben sich in mir daraus entwickelt? Muss ich wirklich immer einen Orgasmus haben? Muss ich immer einen hoch kriegen? Bin nur etwas wert, wenn ich es ihr besorgen kann? Muss ich ihm das Gefühl geben, dass er es „drauf hat“, damit er mich liebt?“ Im Grunde können wir nahezu alles, was wir an Botschaften über Sexualität verinnerlicht haben, und was in uns zu belastenden Glaubenssätzen führt, über Bord werfen. 97 Prozent dessen, was wir über Sexualität vermittelt bekommen, hat möglicherweise nichts damit zu tun, was die eigene Sexualität ausmacht. Es lohnt sich deshalb, neugierig zu sein, und immer wieder zu hinterfragen: Passt das für mich? Trifft es auf mich wirklich zu? Fühle ich mich gut mit dieser Botschaft?

Ein Beispiel:

Zu den Botschaften über die angeblich unterschiedlichen Erregungskurven von Mann und Frau habe ich vor ein paar Jahren Umfragen gemacht. Ergebnis: 92 % aller Teilnehmenden gaben an, dass ihre Erregungskurve je nach Situation stark variiert. Die angeblichen Unterschiede zwischen Mann und Frau lösten sich dadurch völlig auf. Mit dieser Botschaft verknüpfte Glaubenssätze, die uns belasten und in Rollen zwängen, können wir also getrost loslassen. So werden wir offener dafür, zu schauen und zu fühlen. Wir sind aufmerksamer für uns selbst und unsere Partner.

Was uns dabei hilft…

ist konsequent dem zu folgen, was wir gerade fühlen und uns in Achtsamkeit für uns selbst und unser Gegenüber damit zu zeigen, was gerade ist. Den Kopf auszuschalten – auch eine oft gehörte Botschaft(!) – ist dafür übrigens nicht nötig. Der darf ruhig dabei sein. Und wenn mitten im schönsten Vorspiel ein Gefühl – Trauer, Sorgen, was auch immer – quer schießt, ist das völlig in Ordnung. Das Gefühl wird dann ausgesprochen und kann wieder gehen. Oder es ist gerade wichtig, und dann ist es richtig, dass es Raum bekommt. So machen wir die Erfahrung, dass wir mit dem, wie wir sind, angenommen und gesehen werden.
Meine Partnerin und ich haben uns bewusst Zeiträume organisiert, in denen wir einfach mit dem, was sich gerade zeigt, gemeinsam verbunden sind. „Erfüllende“ Sexualität ergibt sich von ganz alleine, indem wir eine „erfühlende“ Sexualität leben. Eine Sexualität, die entspannt genau dem folgt, wonach wir uns gerade fühlen. Und das ist manchmal wildes geiles sich durch die Decken wühlen. Manchmal haben wir aber auch gerade gar keine Lust auf viel Körperlichkeit: „Wollen wir in ein Café fahren und Milchkaffee trinken?“ Und dann lassen wir uns im Café zufrieden und glücklich in die Lehnen unserer Stühle sinken, schauen uns an, und wissen: Erfühlende Sexualität kann alles sein. Auch ein gemeinsamer Milchkaffee. Und beim nächsten Mal gibt´s wieder durchwühlte Decken. Oder ein Rollenspiel. Je nach dem, was sich gerade zeigt. Zu leben was unsere Bedürfnisse in gerade diesem Moment erfüllt: das ist erfüllend.

Artikel erstmals erschienen in: KGS Berlin, Ausgabe 10/2018
für diesen Blog überarbeitet am 09.08. 2019

2019-08-09T19:08:03+00:000 Kommentare

Männer haben Macht

MÄNNER HABEN MACHT.

Wie hört sich dieser Satz für Euch an?
Macht er Euch Angst? Klingt er wie ein Vorwurf?
Oder ist er Möglichkeit und Potenz – ial?

Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.

Ich habe diesen Satz schon länger in mir.
Und ich habe lange gezögert, ihn in die Welt zu bringen.
Dieser Satz hat Mut gebraucht.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer inzwischen sehr guten Freundin, letztes Jahr, als Svenja Flaßpöhlers „Die potente Frau“ herauskam und diskutiert wurde. Sie sagte damals sinngemaß: „Eine potente Frau löst bei Männern möglicherweise große Ängste aus.“
Ich sagte darauf: „Ich glaube, ein potenter Mann wäre auch für viele Frauen eine echte Herausforderung.“
Die gedankliche Möglichkeit eines „potenten Mannes“ überraschte sie damals geradezu. Inzwischen hat sich eine tiefe Ebene der Verständigung zwischen uns entwickelt. Und ich glaube, unsere Sichten auf die Welt haben sich durch unsere Begegnungen verändert.

Oft hören wir, dass Männer Macht abgeben müssen,

damit sich die Welt verändern kann.
Ich glaube, Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.
Und es ist uns Männern noch kaum bewusst, WIE machtvoll wir die Welt verändern können.
Und diese Macht brauchen wir gar nicht abzugeben.
Im Gegenteil: würden wir diese Macht ergreifen – ich glaube, die Welt wäre in einer Geschwindigkeit, dass wir uns die Augen reiben würden, eine friedlichere.

Ich habe diese Macht in verschiedenen Situationen schon erfahren dürfen. Etwas davon auf der MANN SEIN 2019 im Beisammensein mit 400 Männern. Da vor allem in den Pausen zwischen den Speakern, dort, wo Männer sich begegnet und berührt haben.
Und sehr viel davon auf dem 4 Tage währenden Bundesweiten Männertreffen, wo so viel Zeit und Raum für zwischenmenschliche Begegnung war, und die Hierarchien bewußt so flach gestaltet waren, dass 200 Männer (z.T. mit ihren Kindern) einander von Mensch zu Mensch auf Augenhöhe begegnen und einander berühren konnten.
Im Zwiegespräch, aber auch in der großen Runde mit 200 Menschen.

Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.

Wir haben die Macht, zu berühren.
Wir haben die Macht, uns berühren zu lassen.
Wir haben die Macht, unsere Empathie miteinander wieder aufzuwecken und fließen zu lassen.
Wir haben die Macht, Menschen – unabhängig vom Geschlecht, egal ob Mann, Frau oder ein anderes – im Herzen zu berühren.
Wir haben die Macht, Verständigung und schließlich Frieden in die Welt zu bringen.

Und ich erlebe, jetzt wo es in der Welt ist, und seine Wirksamkeit zu entfalten beginnt, wie das Buch Humannoid – Männer sind Menschen mit dieser Macht durchwirkt ist.
Ich erlebe, wie herausfordernd das ist. Ich erlebe manchmal, wie einige Menschen (Männer wie Frauen) vor dieser Macht zurückschrecken, erst einmal in Widerstand gehen mit den Männern im Buch. Mit ihren Bildern und ihren Geschichten. Und ich verstehe das. Ein potenter Mann ist herausfordernd. Ja. Es ist so ungewohnt, dass Männer sich in das Potenzial dieser Macht entfalten.

Noch mehr aber erlebe ich, wie Menschen sich dadurch verändern, zu erleben, dass Männer sich öffnen. Wie sie weicher werden. Wie sie bereiter werden, sich einzulassen, sich zu begegnen und zu verstehen.

Was ich hier beschreibe, von der Wirksamkeit und Macht, von der das Buch durchwirkt ist, von dieser Wirksamkeit, von dieser Macht, davon zeugt für mich auch dieses Video.
„Da brechen alle Dämme.“

Männer, mir macht das Mut.
Entfalten wir unsere friedvolle Macht.
Die Macht, uns berühren zu lassen und zu berühren.
Lasst uns die Welt verändern.

2019-06-21T22:01:03+00:000 Kommentare

Aus der Opferrolle in die Eigenverantwortung

Aus der Opferrolle in die Eigenverantwortung

Offener Brief an Arne Hoffmann als Antwort auf seine Rezension meines Buchs
huMANNoid | Männer sind Menschen

Lieber Arne Hoffmann,

seit ich Texte veröffentliche und Bücher schreibe, mache ich einige schöne, aber auch spannende Erfahrungen. Und ich lerne eine Menge.
Darüber, wie meine Texte rezipiert werden, aber auch über mich selbst und wie ich damit umgehe, was Menschen aus meinen Texten herauslesen.
Zu den schönen Erfahrungen gehört natürlich der Zuspruch, wenn Menschen von diesen Texten berührt sind, und sie darin vielleicht sogar neue Handlungsspielräume für sich selbst entdecken können. Denn dafür schreibe ich.
Zu den spannenden und für mich lehrreichen Erfahrungen gehört, dass jeder Mensch für sich das herausliest, was der eigenen Erlebenswelt entspricht und deshalb für ihn oder sie besonders wichtig ist. Oft finden Menschen in meinen Texten Aspekte, die mir selbst gar nicht so bewusst waren, und ich freue mich, wenn wir gemeinsam gegenseitig unsere Perspektiven erweitern können.

Gelegentlich aber stelle ich aber auch fest, dass sich Menschen gezielt ganz bestimmte Aspekte herauspicken, um ihre Sicht auf die Welt zu untermauern. Manchmal scheint es mir dann, dass der Blick enger wird und Handlungsspielraum verloren geht.
Ich habe gelernt und lernen müssen, dann stehen zu lassen, was nicht bewegt werden will.

Im Dilemma befinde ich mich jedoch,

wenn ich Zuspruch von Menschen zu meinen Texten erfahre, die doch eigentlich Veränderung bewirken wollen und sich dafür dann aber Aspekte herauspicken, die den Blick wieder eng machen. Dann wird es mir wichtig, Dinge nicht so stehen zu lassen, sondern den Austausch zu suchen, damit wir etwas bewegen können.
Aus diesem Dilemma heraus möchte ich nun in einem offenen Brief auf Deine Buchrezension zu meinem Buch huMANNoid | Männer sind Menschen antworten.

Zu Beginn Deiner Rezension schreibst Du vom Zeitalter „kontinuierlichen Männerbashings“, welches  als „kühne These“ nun den Titel „Männer sind Menschen“ für mein Buch hervorgebracht habe. „Dass das nötig war, zeigen einige Reaktionen, die Bartels auf die Behauptung ‚Männer sind Menschen‘ erhalten hatte und zu denen sarkastischen Lachen und Erwiderungen wie ‚Schön wär´s gehörten.‘, schreibst Du.
Nun war jedoch die Bandbreite der Reaktionen erheblich breiter, als Du es darstellst, und ich habe das in der Einleitung zum Buch auch beschrieben, und es wäre sehr schade, die Reaktionen der Wertschätzung von und gegenüber Männern, die sich in ihrem Menschsein zeigen, hier nicht zu erwähnen: „„Endlich fühle ich mich gesehen“ und „Wie schön, wenn ihr euch zeigt“.

Ohne die volle Bandbreite jedoch wird der Blick eng und es bleibt dem verkannten Mann nur die Rolle als Opfer. Das aber ist nicht mein Anliegen. Im Gegenteil. So schreibe ich im Vorwort:

„ Dieses Buch will weder neue Bilder von Männlichkeit vermitteln, noch will es alte Ideale von Männlichkeit rechtfertigen. Es will nicht einmal danach fragen, was denn Männlichkeit eigentlich ist. Vielmehr steigt es aus einer Geschlechterdebatte aus, die uns als Gesellschaft nun schon mindestens ebenso lange begleitet, wie ich Lebensjahre zähle. Tatsächlich hat es in meinem Leben auch so lange gebraucht, mich und andere Menschen aus all diesen Rollenzuschreibungen zu entlassen. Und das erlebe ich als ebenso verbindend wie befreiend. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen wird so auch zu einer Begegnung mit mir selbst.

Mit diesem Buch möchte ich deshalb aus ganzem Herzen an das Einfachste erinnern:
Männer sind Menschen
Frauen sind Menschen
Wir sind Menschen

Wenn wir uns daran wieder erinnern können, dann wird es ganz einfach. Dann wird es leicht, uns in unseren Unterschieden und in unseren Gemeinsamkeiten wertzuschätzen. Wir können uns wieder begegnen. Von Mensch zu Mensch.“

und im Prolog:

„Ich träume von einem Buch, das Männer zeigt und Männer interviewt: Nackt, ungeschminkt und ohne den körperkorrigierenden Einsatz von Photoshop – Männer in ihrer Würde, und in ihrer Verletzlichkeit und in der Stärke, die sich genau daraus ergibt, sich so zu zeigen, wie sie nun einmal sind: Menschen!“

Opfererleben ist ganz sicherlich Teil des Menschseins.

Das Reduzieren auf die Opferrolle hingegen verdeckt weite Teile der menschlichen Ganzheit und nimmt Menschen ihre Würde.
Worum es mir mit dem Buch eigentlich geht, hast Du doch durchaus erfasst und es immerhin am Rande erwähnt:

„Die Strategien, die Eilert Bartels wählt, um dieses Schweigen zu brechen, sind Sich-nackt-machen und Sich-Verletztlich-zeigen. Dazu tritt der Ansatz, einen Menschen „ganzheitlich“ zu präsentieren statt beispielsweise reduziert auf die Rolle des Gewalttäters, Machthabers oder Opfers.“

Das Einnehmen einer Opferrolle in Kombination mit geschickt platziertem Täter*innenvorwurf in Richtung Gegenseite mag eine (mitunter) mächtige Waffe im Geschlechterkrieg sein, und die Kontrahenten lernen stetig voneinander, diese Waffe geschickt einzusetzen. Ich beobachte diese Strategien in Teilen des Feminismus, aber auch in Teilen der Männerrechtsbewegung seit Jahrzehnten. Am Ende nimmt das allen Beteiligten Ihre Würde und vertieft die Gräben.
Das ist der Grund, warum ich mich vor Jahren vom Feminismus abgewendet habe und mich nun auch einer Männerrechtsbewegung nicht anschließen mag.

Ich sehe, wie auch Du, lieber Arne, Deine Lektionen in diesem Geschlechterkrieg gelernt hast, vielleicht das Denken und Agieren in „Strategien“ auch einfach gewohnt bist.
Von daher verstehe ich, dass Du aus meinem Artikel über Gewalt gegen Männer meine Zeilen über das Schweigen und Verstummen der Männer zitierst:

„Wie bereits in den 1970ern, 1980ern, erlebe ich heute erneut wieder das bekannte Bild: In Gesellschaft und Medien heißt es: Männer sind Täter, Frauen sind Opfer. Männer müssen bestraft werden, Frauen müssen geschützt werden. (…) Äußert sich ein Mann zu selbsterlebter sexueller Gewalt, wird ihm oft nicht geglaubt, er wird verlacht, oder sein Erleben für statistisch unbedeutend erklärt. So, als sei sein Erleben geschlechtsbedingt weniger wert als das anderer Menschen. Viele Männer, die ich kenne, sind deswegen schlicht verstummt. Auch, weil sie meist nicht einmal auf Rückhalt von anderen Männern hoffen dürfen. Dieses Schweigen halte ich für gefährlich.“

Ich verstehe, dass es offenbar Teil der Strategie ist, andere für dieses Schweigen verantwortlich zu machen.

Und teilweise magst Du recht haben: Ja, es gibt Versuche, Schweigetabus zu bestärken.
Aber machen wir uns nichts vor: Es gibt diese Versuche auf allen Seiten. Jedoch nicht von allen Beteiligten! Es gibt auf allen Seiten auch Menschen, die zuhören wollen, auch, wenn es unbequem wird. Es gibt auf allen Seiten Menschen, die Räume für Begegnung und gegenseitiges Verstehen schaffen wollen.

Du sprichst – mit Erwähnung eines FAS-Artikels über Dich – die Strategie der Diffamierung des Gegners an und verlinkst auf einen Text von Lucas Schoppe, der daran – durchaus berechtigt – Kritik übt. Schoppe schreibt darin:

„Statt diese Position [Arne Hoffmanns „Plädoyer für eine linke Männerpolitik] wenigstens zu skizzieren, reproduziert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ein gängiges Klischee: Männerrechtler würden einfach nur spiegelbildlich wiederholen, was Feministinnen vorgemacht hätten, und sich in eine „Opferideologie“ (so eine Schrift der grünen Heinrich-Böll-Stiftung) einspinnen.“

Tatsächlich ist es aber genau das, was auch Du in der Besprechung meines Buches machst, indem Du  eine fiktive Diffamierung überhaupt erst ins Feld holst:

„Dieselbe Demagogie könnte man natürlich auch gegen Eilert Bartels anwenden, wenn er den Hintergrund seiner Aggression erklärt. Ja, selbst aus dieser Buchvorstellung hier könnte man einen neuen Skandal stricken: „Hoffmann gibt gewaltvollem Mann ein Podium“. Alles scheint Recht, nur damit Männer, auch und insbesondere männliche Opfer sexueller Gewalt, weiter brav ihren Mund halten.“

Ich bezweifle nicht, dass es diese Strategien des „Einspinnens in Opferideologien“ gibt. Und ich wiederhole mich, wenn ich schreibe:
Aber es gibt sie auf allen Seiten. Und nicht selten bleiben sie unglaubwürdig:
Ausgerechnet für diesen Artikel von mir über Gewalt gegen Männer, den Du für Deine Argumentation heranziehst, hat mir eine Feministin, Theresa Lachner, Raum gegeben, uns zwar auf ihrem Blog „Lvstprinzip“. Damit das Thema Gehör findet. Dort hast Du ihn ja auch gefunden.

Erneut wiederhole ich mich: Es gibt auf allen Seiten auch Menschen, die Zuhören wollen, auch, wenn es unbequem wird. Es gibt auf allen Seiten Menschen, die Räume für Begegnung und gegenseitiges Verstehen schaffen wollen.
Machen wir es Ihnen und uns selbst nicht schwerer als es ist, indem wir uns hinter Opferrollen verschanzen!

Es liegt in unserer eigenen Verantwortung, diese Räume verantwortungsvoll zu erschaffen und zu nutzen.

So habe ich nicht lediglich die Absicht verfolgt, „den Hintergrund“ meiner Aggression zu erklären“ oder gar zu entschuldigen, sondern möchte vielmehr dazu aufrufen, Verantwortung für das eigene Aggressionspotential zu übernehmen.
Das Schweigen über die selbst erlebte Gewalt ist viel zu oft der Nährboden, der wiederum Gewalt hervorbringt. Viele Menschen aller Geschlechter verdrängen so auch das eigene Aggressionspotential allzu leicht. Und, wie Du mich zitiert hast: „Dieses Schweigen halte ich für gefährlich.“ Ich erläutere das in meinem von Dir zitierten Artikel über Gewalt gegen Männer wie folgt weiter:

„Unabhängig vom Geschlecht: Wer Gewalt erlebt hat, wer diese desktruktive Energie in sich aufnehmen musste, wird sie irgendwie ableiten. Und solange erlebte Gewalt nicht in ein konstruktives Spektrum transformiert ist, wird sie destruktiv abgeleitet. In Form von körperlicher, seelischer oder sexueller Gewalt, gegen andere Personen, gegen Dinge oder gegen sich selbst.
Ich setze mich gerne und aktiv dafür ein, dass sexuelle, körperliche, seelische und strukturelle Gewalt zurückgehen können.
Aber dafür brauchen wir das ganze Bild, und das Bewusstsein, dass jeder Mensch, unabhängig vom Geschlecht, Würde, Schutz und Respekt verdient.
Dafür brauchen wir das Bewusstsein, dass kaum ein Mensch ausschließlich Opfer ist, und kein Mensch ausschließlich Täter, sondern mit höchster Wahrscheinlichkeit beides ist.“

Zur Würde menschlicher Ganzheitlichkeit gehört es für mich, sich mit all diesen Aspekten nicht zu verstecken.

Zur Würde menschlicher Ganzheitlichkeit gehört es für mich, sich nicht hinter der Opferrolle zu verschanzen. Diesem Anspruch habe ich versucht, im Buch huMANNoid | Männer sind Menschen gerecht zu werden. In der Einleitung heißt es dazu:

„Zur menschlichen Ganzheitlichkeit gehören auch Anteile, die wir lieber verbergen. Es ist nicht immer leicht, sich in seiner eigenen Verletzlichkeit zu zeigen. Oft scheint es uns nö- tig, unsere Wunden vor einem erneuten Angriff zu schützen. Noch weitaus heikler wird es, sich mit dem eigenen verletzenden Potential zu offenbaren. Wenn es aber darum geht, Männer in ihrer Ganzheitlichkeit sichtbar und spürbar zu machen, dürfen wir das Thema ‚Gewalt‘ nicht ausklammern. Auch wenn sich die Männer im Gespräch verschiedentlich be- reits mit erlebter und ausgeübter Gewalt gezeigt hatten, war es mir wichtig, noch einmal explizit danach zu fragen. Dass die Männer sich diesen Fragen mit großer Bereitwilligkeit gestellt, in sich hineingehorcht und sich in aller – ihnen im Rahmen unserer Interviews möglichen – Offenheit und Ehrlichkeit gezeigt haben, erfüllt mich mit allerhöchster Wert- schätzung und Dankbarkeit. Vieles wird erst dann handhabbar und kann verarbeitet und bewältigt werden, wenn es ausgesprochen werden durfte.“

Es ist mir wichtig, dass die Bereitschaft dieser Männer, sich so ganzheitlich zu zeigen, gewürdigt wird. Und ich bin sicher, dass sie das wird.  Ich bin mir sicher, dass Selbstverantwortlichkeit für unsere menschliche Würde uns dazu befähigt, unser Schweigen zu brechen.

So, wie es die Männer in huMANNoid | Männer sind Menschen tun.

Ich bin sicher, dass – ganz unabhängig vom Geschlecht – auch diese Stimmen dann endlich das Gehör erhalten, das sie verdient haben. Und dass diese Stimmen uns allen – uns Menschen aller Geschlechter – Mut machen können, uns nicht mehr zu verstecken.
Und dann wird es möglich, dass unser Blick sich weitet, anstatt enger zu werden.

Ich weiß, dass es Dir, lieber Arne Hoffmann, ein Anliegen ist, Veränderung zu bewirken,

und den Blick weiter werden zu lassen.
So, wie es Dir in deiner Buchbesprechung hinsichtlich männlicher Sexualität gelungen ist, wenn Du zusammenfasst:

„Bartels Buch stellt klar, dass die Wirklichkeit komplexer ist und man dem Geschlechterthema nicht gerecht wird, wenn man es so schlicht präsentiert, wie es viele Meinungsführer tun.“

So, wie Du selbst es mit Deinem großartigen Sammelband „Gleichberechtigung beginnt zu zweit“, der in den nächsten Tagen erscheint, in die Welt bringst.
Ich freue mich sehr auf und über Dein Buch, für das Menschen aus allen Lagern der Geschlechterdebatte Artikel geschrieben haben!
Lasst uns die Gräben überwinden und nach vorne schauen!
Lasst uns endlich aufhören, weiter zu spalten und stattdessen eigenverantwortlich Räume des Verstehens und der Verständigung kreieren.

Dafür habe ich das Buch „huMANNoid | Männer sind Menschen“ herausgebracht,
und Du Deinen Sammelband „Gleichberechtigung beginnt zu zweit“, denke ich.
Dafür arbeitet eine wachsende Zahl Menschen, die von all diesen Geschlechterdebatten allmählich genug haben.
Hoffentlich folgen noch viele weitere Impulse von verschiedensten Menschen aller Geschlechter. Denn am Ende gilt für mich

Männer sind Menschen.
Frauen sind Menschen.
Wir sind Menschen.

Sehr herzlich grüßt Dich

Eilert Bartels

2019-05-14T20:16:24+00:000 Kommentare

Gedanken zum Edeka Werbespot

Gedanken zum Edeka – Werbespot

Zum Muttertag hat vor ein paar Tagen die große Supermarktkette Edeka einen Werbespot herausgebracht, über den das Internet heiß diskutiert und der die Gemüter – nicht ganz zu unrecht – aufbringt.
Dieser Spot zeigt eine Reihe Väter, die im Zusammensein mit ihren Kindern ihre Ungeschicke des Alltags erleben.
Am Ende wendet sich ein Kind seiner Mutter zu und wir hören den Satz:

„Mama, danke, dass du nicht Papa bist.“

Ich habe mir ein paar Gedanken zum Edeka Werbespot gemacht:

Dieser Spot will provozieren

Und er will Aufregung erzeugen und Aufmerksamkeit für eine Marke erregen. Das ist der Sinn von Werbung.
Hier aber funktioniert die Botschaft nicht.
Denn lassen wir diesen unseligen und familienspaltenden letzten Satz des Clips einmal aussen vor:
Ich schaue – und das meine ich vollkommen Ernst – voller Liebe auf diese Väter, denn Ihnen ist eines gemeinsam, was inzwischen ein paar Generationen von Männern und Frauen in ihrer Kindheit nicht mehr hatten:

Diese Väter sind da!

Sie sind bei ihren Kindern!
Sie sind da, und sie tun etwas, was sehr, sehr menschlich ist: sie machen Fehler. Sie sind voller Liebe und Fürsorge, und ja, sie machen dabei auch Fehler. Und sie bleiben dennoch da. Das nimmt ihnen nicht ihre Würde, im Gegenteil!
Sie leben Menschlichkeit vor.
So, wie das ganz viele Eltern aller Geschlechter tun, so gut es ihnen möglich ist. Und das ist wunderschön und herzerwärmend!
Gibt es etwas Würdevolleres?

Ich habe dieses Video heute abend meinen fast erwachsenen Kindern (17 und 16) gezeigt, und in ihre warmen Augen geblickt. Bis fast zum Schluss. Es ist wirklich nur dieser eine letzte Satz, der diese Wärme mit einem einzigen zynischen Augenblick schockfrostet. Meine Kinder saßen einen langen Moment fassungslos erstarrt da, als würde sich giftige Galle aus dem Bildschirm auf den Tisch ergießen.

Beherzt haben wir das Ganze weggewischt:

Danke, dass es jede*n Einzelne*n von uns gibt!
Danke, dass wir miteinander und füreinander da sind!
Danke, dass wir miteinander und aneinander Fehler machen dürfen, und wir trotzdem für uns alle Platz in unseren Herzen haben.
Danke für die Erinnerung, dass unsere Welt besser ist, als uns Werbemacher einreden möchten, die nichts anderes wollen, als eine Marke zu verkaufen.
Denn
Väter sind Menschen
Mütter sind Menschen
Kinder sind Menschen
Wir sind Menschen

In diesem Sinne:
Alles Gute zum Muttertag!

2019-05-11T14:54:46+00:000 Kommentare

Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Teil des Problems oder Teil der Lösung?

In der Geschlechterdebatte lese ich das des Öfteren, an die Männer gerichtet: „Du bist Teil des Problems, weil es ein strukturelles Problem ist.“

Und ich würde dem nicht widersprechen. Wenn ich Teil des Systems bin, das seit unzähligen Generationen existiert, kann ich mich nicht einfach davon frei machen. Ich kann nicht sagen: „Geht mich nichts an, davon bin ich völlig unbeeinflußt.“
Nur, dass das dann eben nicht nur für Männer gilt, sondern für alle Menschen innerhalb des Systems.

Wir können innerhalb eines Systems nicht sagen:
„Du als Individuum einer Hälfte innerhalb des Systems bist Teil des Problems“, während die andere Hälfte als Teil des Problems unbesprochen bleibt.
Zu verschweigen, dass innerhalb eines Systems alle Teil des Problems sind, gleicht der Absicht, nur aus weißen Feldern ein Schachbrett zu bauen und die schwarzen Felder einfach wegzulassen.
Es ist unhaltbar.

Noch eines:
Mit der Aussage „Du bist Teil des Problems“ mache ich mich automatisch selbst zum Teil dessen, denn ich fokussiere auf das Problem, und nicht auf die Lösung, und trage dazu bei, das Problem aufrecht zu erhalten.
Was könnte sich verändern, wenn wir sagen: „Du bist Teil der Lösung, weil wir die Struktur nur gemeinsam verändern können“? Wir könnten das Potential von Menschen wecken, und damit selbst Teil der Lösung werden.
Wäre das nicht so fabelhaft, wie diese zwei Einhörner?

Foto: pixybay – schach100

2019-04-15T13:36:45+00:000 Kommentare

Wie offen können Antworten sein?

Wie offen können Antworten sein, wenn wir Menschen in Rollen befragen?

Soeben habe ich die Buchbesprechung zum neuen Buch von Sophie Passmann gelesen.
In Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch unterhält sie sich mit Menschen, die sie in diese Kategorie einordnet. Der Artikel nennt dies „Ein Angebot an alte weiße Männer.

Foto: Pixabay.com – StockSnap

Dieses Buch könnte spannend sein. Ich werde es mal in meiner kleinen Buchhandlung bestellen. Mal sehen ob sich eine Vermutung bestätigt, die ich seit längerer Zeit hege:

Wenn Menschen in einer Rolle gefragt werden,

werden sie dann nicht innerhalb der Rolle antworten?
Wenn ich als Klavierbauer gefragt werde, antworte ich als Klavierbauer. Und meine Antworten werden mit Sicht auf diese Rolle ausgewertet.
Wenn ich als Therapeut gefragt werde, antworte ich entsprechend und meine Antworten werden entsprechend ausgewertet.
Wenn ich als Täter gefragt werde, ..
Wenn ich als Missbrauchsopfer gefragt werde …
usw …

Macht es einen Unterschied?

Macht es einen Unterschied, wenn ich frage:
Wie erlebst du Ungerechtigkeit?
im Gegensatz zu z.b.
Wie erlebst du als Arbeitgeber Ungerechtigkeit?

Ich könnte das beliebig fortsetzen:
Wie erlebst du deine Sexualität?
Im Gegensatz zu:
Wie erlebst du deine Sexualität als Mann /  als Frau /  als Intersexuelle*r?

Würden sich die Antworten unterscheiden?

Was bedeutet das dann im Hinblick auf ein Buch, das alte weiße Männer interviewt?
Werden sie als alte weiße Männer antworten?
Lassen beim Lesen ihre Antworten eine andere Sicht auf diese Rolle zu?
Ist es dann wirklich ein Angebot an alte weiße Männer? Ein Angebot zu was?

Ich bin gespannt und werde berichten.

2019-04-15T12:59:04+00:001 Kommentar

Ist männliche Lust bereits vermessen?

In diesem Artikel vom 22. Mai 2015 benutze ich zum ersten Mal das Kofferwort huMANNoid.
Später entstand – auch infolge der hier aufgeschriebenen Gedanken, das Projekt und schließlich das Buch
huMANNoid | Männer sind Menschen

Ist männliche Lust bereits vermessen?

Diese Frage ist natürlich etwas provokativ und doppeldeutig. Und das hat einen Grund:
Als der Spiegel gerade mal wieder einen Artikel über neueste Forschungsergebnisse zur Vermessung weiblicher Lust veröffentlichte, ließ die sicher nicht ganz unberechtigte Kritik im Netz nicht lange auf sich warten. Dass viele Stimmen nun mit Nachdruck darauf hinweisen, dass weibliche Sexualität sich nicht vermessen lasse, finde ich dabei durchaus begrüßenswert. Wenn im gleichem Atemzug allerdings so getan wird, als sei männliche Lust bereits vermessen, dann finde ich das schon ein wenig vermessen. Wenn das Feigenblatt unkt, weibliche Lust vermessen zu wollen sei ähnlich kindisch wie das vermessen von Penislängen, wenn Frau Clara Ott von der Welt.de „Sexualforscher“ völlig selbstverständlich mit „Herren“ gleichsetzt, denen man den gut gemeinten Rat geben müsse, endlich ihre Suche nach „Orgasmustricks“ für die Frau aufzugeben, dann fühle ich mich an die E-Mail einer Frau erinnert, die – auf meine Texte in einem Internetforum aufmerksam geworden – mich fragte, wie sie wohl ihren Neandertaler-Mann dazu bringen könne, Bücher zu lesen. Lese ich nun den Shitstorm, den der o.g. Spiegel Artikel auslöste, habe ich zuweilen den Eindruck, dass wir heutzutage über männliche Sexualität tatsächlich ein ähnlich holzschnittartiges Bild haben wie noch vor zwanzig Jahren über Neandertaler.

Wenn wir männliche Sexualität darauf  reduzieren

-und mit „wir“ meine ich durchaus Frauen UND Männer -, dass sie kindisch, schlichter gestrickt und insgesamt latent misstrauenswürdig ist, haben wir uns gehörig vermessen! Wundert es einen da noch, wenn namhafte Sexualtherapeuten wie Ulrich Clement oder Ann-Marlene Henning eine zunehmende Unlust bei Männern registrieren? Vielleicht sind Männer in ihrer Sexualität ja gar nicht simpler gestrickt als Frauen. Auch wenn Ulrich Clement im Interview in der Zeit.de – wie ich vermute in durchaus kalkulierter Provokation – genau diese These einmal mehr in den Raum des öffentlichen Diskurses geworfen hat. Saleem Matthias Riek und Rainer Salm beginnen jedes der 15 Gespräche mit Männern in ihrem lesenswerten aktuellen Buch „Lustvoll Mannsein“ mit der Frage: Bist du ein normaler Mann? Dass keiner dieser Männer diese Frage mit JA beantwortete, stimmt mich nachdenklich. Ich bin jedenfalls, seit ich mich bewusst mit dem Thema männlicher Sexualität beschäftige, noch keinem einzigen Mann begegnet, in dessen Brust kein fühlendes Herz schlägt, das Liebe, Trauer, Freude, Angst, Schmerz, Verunsicherung, Wut und vieles mehr zu Empfinden in der Lage ist! Sie alle sind durch und durch huMANNoid und sind in meinen Augen damit so normal wie die von Riek und Salm interviewten Männer.

Statt männliche Sexualität fortgesetzt mit generalisiertem Misstrauen zu betrachten,

wäre es in meinen Augen an der Zeit, zu untersuchen, ob wir dem trauen wollen, was Medien, Gesellschaft und letztlich wir selbst uns über männliche Sexualität vermitteln.

Ich gebe zu: wenn ich sehe, wie Frauen in den letzten Jahren sich nach und nach eine liebevoll positve und unbeschämte Haltung zu sich selbst, ihrem Körper und ihrer Sexualität entwickeln und dies z.B. mit Schmuck in Form kleiner Vulvinchen feiern, oder im The Nu Project den weiblichen Körper in seiner natürlichen Schönheit würdigen, dann ist es auch für mich als Mann schön, das mitzuerleben. Und dann wünsche ich mir eine ähnliche Entwicklung für uns Männer. Ich wünsche mir eine offene, gerne auch kritische, aber nicht auf Misstrauen eingeengte, liebe- und freudvoll zugewandte männliche Sicht auf männliche Sexualität. Und so lautet meine Antwort auf die eingangs gestellte Frage:
Männliche Lust ist noch lange nicht vermessen. Aber vielleicht sollten wir damit anfangen. Wir hätten viel zu gewinnen.

Eilert Bartels

2019-04-15T12:52:32+00:000 Kommentare