Erfüllende Sexualität – Raus aus dem Druck!

Erfüllende Sexualität – Raus aus dem Druck
Wenn ein Milchkaffee erfüllende Sexualität sein kann


Foto: ulleo / Pixabay

Eine erfüllende Sexualität

Wer wünscht sich das nicht? „Eine erfüllende Sexualität ist es, wenn zwei Menschen danach erschöpft, glücklich und zufrieden in ihre Kissen sinken.“ meldete sich spontan eine Frau mit leuchtenden Augen, als meine Partnerin und ich in einem Gesprächskreis zum Thema „Meine Sexualität“ danach fragten, was eine „erfüllende“ Sexualität eigentlich sei. Dann hielt sie einen Moment inne und das Leuchten in ihren Augen verlosch, ehe sie zögerlich sprach: „Aber dahin zu kommen, das ist die große Schwierigkeit.“ Es scheint also, als müssten wir erst mal Anstrengungen auf uns nehmen, um schließlich zum Ziel zu kommen.

Was eine erfüllende Sexualität sei,

und welche Bedingungen dafür erfüllt werden müssen, das vermitteln uns auch Illustrierte, Film und Fernsehen. Filmpaare mit perfekten Körpern setzen uns Bilder in den Kopf. Zeitschriften und Magazine legen nach: „7 Tricks, wie du sie ins Bett kriegst.“ „10 Tipps, wie er dich sexy findet“, usw. Wir alle sind bis zum Rand vollgestopft mit unzähligen Botschaften über unsere Sexualität, unsere Lust und unsere Körper. Wir haben Vorstellungen und Bilder verinnerlicht, wie unser Sex sein sollte, oder auch darüber, wie es doch tatsächlich sei. „Er muss es ihr besorgen können.“, „Sie braucht ein langes Vorspiel.“, „Männer wollen nur das Eine.“, „Sie muss sexy sein.“, „Die erogenen Zonen der Frau sind nicht leicht zu finden.“ „In langen Partnerschaften schwindet auf Dauer die Lust aufeinander.“ und so weiter. Das Problem ist: Bei so vielen Botschaften und Bildern schwindet auch die Lust auf Sex. Eine „erfüllende“ Sexualität scheint nicht so einfach zu sein.

Wie eine Aufgabe,

die es – nun ja – eben zu erfüllen gilt. Oder zumindest wie ein lang gehegter Wunsch nach etwas, vor dessen Erfüllung erst bestimmte Bedingungen erreicht werden müssen. Wer jemals als Kind sein Taschengeld über viele Monate gespart hat, um sich einen großen Wunsch zu erfüllen, wer jemals eine Woche brav sein musste, damit man am Wochenende mit ins Kino durfte, kennt das. Es ist das Gefühl, Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen und Bedingungen „erfüllen“ zu müssen, um ein Ziel zu erreichen. Und genau das ist es, was einer „erfüllenden“ Sexualität dann im Wege steht: Wie will ich erschöpft, glücklich und zufrieden in mein Kissen sinken, wenn mir nicht bereits das, was davor passiert, Freude und Erfüllung bereitet?

Es lohnt sich also,

sich aus der Vorstellung, etwas erfüllen zu müssen, zu verabschieden. Worum geht es uns eigentlich, wenn wir miteinander Sex haben wollen? In unserer Praxis fragen wir die Menschen gelegentlich danach: „Was ist es, was eine gemeinsam gelebte Sexualität für dich wertvoll macht?“ Eine junge Frau hat das neulich wunderbar zusammengefasst: „Vom Alltag abschalten zu dürfen und endlich nicht mehr funktionieren zu müssen. So sein zu dürfen, wie ich bin und mich dabei angenommen und geborgen zu fühlen – mich gesehen zu fühlen.“
Das befriedigt elementare Grundbedürfnisse des Menschen. Mit dem Erfüllen von Rollen ist das nicht vereinbar. Da kann ich noch so sehr versuchen, die Rolle des tollen Lovers oder der sinnlichen Geliebten zu erfüllen: Wenn ich das jetzt, in diesem Moment nicht bin und nicht fühle, kann ich mich auch nicht gesehen und angenommen fühlen. Wenn wir einander wirklich sehen wollen, dann geht das nur, wenn wir alle Rollen ablegen.

Es ist möglich,

verinnerlichte Botschaften und Rollen zu erkennen, sie anzuschauen und zu hinterfragen: „Stimmt das für mich? Bin ich das wirklich? Fühlen sich diese Botschaften und Rollen gut an? Oder geht es mir nicht gut damit? Empfinde ich dabei Druck? Oder Angst, oder Trauer? Welche Glaubenssätze haben sich in mir daraus entwickelt? Muss ich wirklich immer einen Orgasmus haben? Muss ich immer einen hoch kriegen? Bin nur etwas wert, wenn ich es ihr besorgen kann? Muss ich ihm das Gefühl geben, dass er es „drauf hat“, damit er mich liebt?“ Im Grunde können wir nahezu alles, was wir an Botschaften über Sexualität verinnerlicht haben, und was in uns zu belastenden Glaubenssätzen führt, über Bord werfen. 97 Prozent dessen, was wir über Sexualität vermittelt bekommen, hat möglicherweise nichts damit zu tun, was die eigene Sexualität ausmacht. Es lohnt sich deshalb, neugierig zu sein, und immer wieder zu hinterfragen: Passt das für mich? Trifft es auf mich wirklich zu? Fühle ich mich gut mit dieser Botschaft?

Ein Beispiel:

Zu den Botschaften über die angeblich unterschiedlichen Erregungskurven von Mann und Frau habe ich vor ein paar Jahren Umfragen gemacht. Ergebnis: 92 % aller Teilnehmenden gaben an, dass ihre Erregungskurve je nach Situation stark variiert. Die angeblichen Unterschiede zwischen Mann und Frau lösten sich dadurch völlig auf. Mit dieser Botschaft verknüpfte Glaubenssätze, die uns belasten und in Rollen zwängen, können wir also getrost loslassen. So werden wir offener dafür, zu schauen und zu fühlen. Wir sind aufmerksamer für uns selbst und unsere Partner.

Was uns dabei hilft…

ist konsequent dem zu folgen, was wir gerade fühlen und uns in Achtsamkeit für uns selbst und unser Gegenüber damit zu zeigen, was gerade ist. Den Kopf auszuschalten – auch eine oft gehörte Botschaft(!) – ist dafür übrigens nicht nötig. Der darf ruhig dabei sein. Und wenn mitten im schönsten Vorspiel ein Gefühl – Trauer, Sorgen, was auch immer – quer schießt, ist das völlig in Ordnung. Das Gefühl wird dann ausgesprochen und kann wieder gehen. Oder es ist gerade wichtig, und dann ist es richtig, dass es Raum bekommt. So machen wir die Erfahrung, dass wir mit dem, wie wir sind, angenommen und gesehen werden.
Meine Partnerin und ich haben uns bewusst Zeiträume organisiert, in denen wir einfach mit dem, was sich gerade zeigt, gemeinsam verbunden sind. „Erfüllende“ Sexualität ergibt sich von ganz alleine, indem wir eine „erfühlende“ Sexualität leben. Eine Sexualität, die entspannt genau dem folgt, wonach wir uns gerade fühlen. Und das ist manchmal wildes geiles sich durch die Decken wühlen. Manchmal haben wir aber auch gerade gar keine Lust auf viel Körperlichkeit: „Wollen wir in ein Café fahren und Milchkaffee trinken?“ Und dann lassen wir uns im Café zufrieden und glücklich in die Lehnen unserer Stühle sinken, schauen uns an, und wissen: Erfühlende Sexualität kann alles sein. Auch ein gemeinsamer Milchkaffee. Und beim nächsten Mal gibt´s wieder durchwühlte Decken. Oder ein Rollenspiel. Je nach dem, was sich gerade zeigt. Zu leben was unsere Bedürfnisse in gerade diesem Moment erfüllt: das ist erfüllend.

Artikel erstmals erschienen in: KGS Berlin, Ausgabe 10/2018
für diesen Blog überarbeitet am 09.08. 2019

2019-08-09T19:08:03+00:000 Kommentare

Männer haben Macht

MÄNNER HABEN MACHT.

Wie hört sich dieser Satz für Euch an?
Macht er Euch Angst? Klingt er wie ein Vorwurf?
Oder ist er Möglichkeit und Potenz – ial?

Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.

Ich habe diesen Satz schon länger in mir.
Und ich habe lange gezögert, ihn in die Welt zu bringen.
Dieser Satz hat Mut gebraucht.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer inzwischen sehr guten Freundin, letztes Jahr, als Svenja Flaßpöhlers „Die potente Frau“ herauskam und diskutiert wurde. Sie sagte damals sinngemaß: „Eine potente Frau löst bei Männern möglicherweise große Ängste aus.“
Ich sagte darauf: „Ich glaube, ein potenter Mann wäre auch für viele Frauen eine echte Herausforderung.“
Die gedankliche Möglichkeit eines „potenten Mannes“ überraschte sie damals geradezu. Inzwischen hat sich eine tiefe Ebene der Verständigung zwischen uns entwickelt. Und ich glaube, unsere Sichten auf die Welt haben sich durch unsere Begegnungen verändert.

Oft hören wir, dass Männer Macht abgeben müssen,

damit sich die Welt verändern kann.
Ich glaube, Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.
Und es ist uns Männern noch kaum bewusst, WIE machtvoll wir die Welt verändern können.
Und diese Macht brauchen wir gar nicht abzugeben.
Im Gegenteil: würden wir diese Macht ergreifen – ich glaube, die Welt wäre in einer Geschwindigkeit, dass wir uns die Augen reiben würden, eine friedlichere.

Ich habe diese Macht in verschiedenen Situationen schon erfahren dürfen. Etwas davon auf der MANN SEIN 2019 im Beisammensein mit 400 Männern. Da vor allem in den Pausen zwischen den Speakern, dort, wo Männer sich begegnet und berührt haben.
Und sehr viel davon auf dem 4 Tage währenden Bundesweiten Männertreffen, wo so viel Zeit und Raum für zwischenmenschliche Begegnung war, und die Hierarchien bewußt so flach gestaltet waren, dass 200 Männer (z.T. mit ihren Kindern) einander von Mensch zu Mensch auf Augenhöhe begegnen und einander berühren konnten.
Im Zwiegespräch, aber auch in der großen Runde mit 200 Menschen.

Männer haben die Macht, die Welt zu verändern.

Wir haben die Macht, zu berühren.
Wir haben die Macht, uns berühren zu lassen.
Wir haben die Macht, unsere Empathie miteinander wieder aufzuwecken und fließen zu lassen.
Wir haben die Macht, Menschen – unabhängig vom Geschlecht, egal ob Mann, Frau oder ein anderes – im Herzen zu berühren.
Wir haben die Macht, Verständigung und schließlich Frieden in die Welt zu bringen.

Und ich erlebe, jetzt wo es in der Welt ist, und seine Wirksamkeit zu entfalten beginnt, wie das Buch Humannoid – Männer sind Menschen mit dieser Macht durchwirkt ist.
Ich erlebe, wie herausfordernd das ist. Ich erlebe manchmal, wie einige Menschen (Männer wie Frauen) vor dieser Macht zurückschrecken, erst einmal in Widerstand gehen mit den Männern im Buch. Mit ihren Bildern und ihren Geschichten. Und ich verstehe das. Ein potenter Mann ist herausfordernd. Ja. Es ist so ungewohnt, dass Männer sich in das Potenzial dieser Macht entfalten.

Noch mehr aber erlebe ich, wie Menschen sich dadurch verändern, zu erleben, dass Männer sich öffnen. Wie sie weicher werden. Wie sie bereiter werden, sich einzulassen, sich zu begegnen und zu verstehen.

Was ich hier beschreibe, von der Wirksamkeit und Macht, von der das Buch durchwirkt ist, von dieser Wirksamkeit, von dieser Macht, davon zeugt für mich auch dieses Video.
„Da brechen alle Dämme.“

Männer, mir macht das Mut.
Entfalten wir unsere friedvolle Macht.
Die Macht, uns berühren zu lassen und zu berühren.
Lasst uns die Welt verändern.

2019-06-21T22:01:03+00:000 Kommentare

Teil des Problems oder Teil der Lösung?

Teil des Problems oder Teil der Lösung?

In der Geschlechterdebatte lese ich das des Öfteren, an die Männer gerichtet: „Du bist Teil des Problems, weil es ein strukturelles Problem ist.“

Und ich würde dem nicht widersprechen. Wenn ich Teil des Systems bin, das seit unzähligen Generationen existiert, kann ich mich nicht einfach davon frei machen. Ich kann nicht sagen: „Geht mich nichts an, davon bin ich völlig unbeeinflußt.“
Nur, dass das dann eben nicht nur für Männer gilt, sondern für alle Menschen innerhalb des Systems.

Wir können innerhalb eines Systems nicht sagen:
„Du als Individuum einer Hälfte innerhalb des Systems bist Teil des Problems“, während die andere Hälfte als Teil des Problems unbesprochen bleibt.
Zu verschweigen, dass innerhalb eines Systems alle Teil des Problems sind, gleicht der Absicht, nur aus weißen Feldern ein Schachbrett zu bauen und die schwarzen Felder einfach wegzulassen.
Es ist unhaltbar.

Noch eines:
Mit der Aussage „Du bist Teil des Problems“ mache ich mich automatisch selbst zum Teil dessen, denn ich fokussiere auf das Problem, und nicht auf die Lösung, und trage dazu bei, das Problem aufrecht zu erhalten.
Was könnte sich verändern, wenn wir sagen: „Du bist Teil der Lösung, weil wir die Struktur nur gemeinsam verändern können“? Wir könnten das Potential von Menschen wecken, und damit selbst Teil der Lösung werden.
Wäre das nicht so fabelhaft, wie diese zwei Einhörner?

Foto: pixybay – schach100

2019-04-15T13:36:45+00:000 Kommentare

Wie offen können Antworten sein?

Wie offen können Antworten sein, wenn wir Menschen in Rollen befragen?

Soeben habe ich die Buchbesprechung zum neuen Buch von Sophie Passmann gelesen.
In Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch unterhält sie sich mit Menschen, die sie in diese Kategorie einordnet. Der Artikel nennt dies „Ein Angebot an alte weiße Männer.

Foto: Pixabay.com – StockSnap

Dieses Buch könnte spannend sein. Ich werde es mal in meiner kleinen Buchhandlung bestellen. Mal sehen ob sich eine Vermutung bestätigt, die ich seit längerer Zeit hege:

Wenn Menschen in einer Rolle gefragt werden,

werden sie dann nicht innerhalb der Rolle antworten?
Wenn ich als Klavierbauer gefragt werde, antworte ich als Klavierbauer. Und meine Antworten werden mit Sicht auf diese Rolle ausgewertet.
Wenn ich als Therapeut gefragt werde, antworte ich entsprechend und meine Antworten werden entsprechend ausgewertet.
Wenn ich als Täter gefragt werde, ..
Wenn ich als Missbrauchsopfer gefragt werde …
usw …

Macht es einen Unterschied?

Macht es einen Unterschied, wenn ich frage:
Wie erlebst du Ungerechtigkeit?
im Gegensatz zu z.b.
Wie erlebst du als Arbeitgeber Ungerechtigkeit?

Ich könnte das beliebig fortsetzen:
Wie erlebst du deine Sexualität?
Im Gegensatz zu:
Wie erlebst du deine Sexualität als Mann /  als Frau /  als Intersexuelle*r?

Würden sich die Antworten unterscheiden?

Was bedeutet das dann im Hinblick auf ein Buch, das alte weiße Männer interviewt?
Werden sie als alte weiße Männer antworten?
Lassen beim Lesen ihre Antworten eine andere Sicht auf diese Rolle zu?
Ist es dann wirklich ein Angebot an alte weiße Männer? Ein Angebot zu was?

Ich bin gespannt und werde berichten.

2019-04-15T12:59:04+00:001 Kommentar